857. An Schiller

Jena, den 9. März 1802

Es ist gegenwärtig hier gerade eine lustige und gesellige Epoche, und ich bin meist Mittag oder Abends auswärts. Dagegen kann ich noch keine productiven Momente rühmen, die sich überhaupt immer seltener machen.

Ich bin über des Soulavie mémoires historiques et politiques du règne de Louis XVI. gerathen, ein Werk das einen nicht los läßt und das durch seine Vielseitigkeit einnimmt, wenn gleich der Verfasser mitunter verdächtig erscheint. Im Ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die sich, nach Naturnothwendigkeit, von vielen Höhen und vielen Thälern, gegen einander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine Überschwemmung veranlassen, in der zu Grunde geht wer sie vorgesehen hat, so gut als der sie nicht ahnete. Man sieht in dieser ungeheuren Empirie nichts als Natur und nichts von dem was wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten. Wir wollen erwarten ob uns Bonaparte’s Persönlichkeit noch ferner mit dieser herrlichen und herrschenden Erscheinung erfreuen wird.

Da ich in den wenigen Tagen schon vier Bände dieses Werks durchgelesen habe, so weiß ich freilich sonst nicht viel zu sagen. Das schöne Wetter hat mich einigemal hinaus in das Freie gelockt, wo es auch noch sehr feucht ist.

Leben Sie recht wohl und sagen mir gelegentlich etwas von den Weimarischen Zuständen und in wie fern Ihnen einige Arbeit gelingt.

G.

H 846 | S 848 | B 849