673. An Goethe

Jena, den 25. Oktober 1799

Seit dem Abend als ich Ihnen zuletzt schrieb ist mein Zustand sehr traurig gewesen. Es hat sich noch in derselben Nacht mit meiner Frau verschlimmert, und ihre Zufälle sind in ein förmliches Nervenfieber übergegangen, das uns sehr in Angst setzt. Sie hat zwar für die große Erschöpfung die sie ausgestanden noch viele Kräfte, aber sie phantasirt schon seit drei Tagen, hat diese ganze Zeit über keinen Schlaf, und das Fieber ist oft sehr stark. Wir schweben noch immer in großer Angst, obgleich Starke jetzt noch vielen Trost gibt. Wenn auch das Ärgste nicht erfolgt, so ist eine lange Schwächung unvermeidlich.

Ich habe in diesen Tagen sehr gelitten, wie Sie wohl denken können, doch wirkte die heftige Unruhe, Sorge und Schlaflosigkeit nicht auf meine Gesundheit, wenn die Folgen nicht noch nachkommen. Meine Frau kann nie allein bleiben, und will niemand um sich leiden als mich und meine Schwiegermutter. Ihre Phantasien gehen mir durch’s Herz und unterhalten eine ewige Unruhe.

Das Kleine befindet sich Gott Lob wohl. Ohne meine Schwiegermutter, die theilnehmend ruhig und besonnen ist, wüßte ich mir kaum zu helfen.

Leben Sie recht wohl, ich würde sehr getröstet seyn, Sie bald zu sehen, ob ich Sie gleich bei so unglücklichen Umständen nicht einladen darf.

Sch.

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