604. An Goethe

Jena, den 26. April 1799

Die Zerstreuungen, die ich in Weimar erfahren, klingen heute noch bei mir nach und ich kann noch zu keiner ruhigen Stimmung kommen. Indessen habe ich mich an eine Regierungsgeschichte der Königin Elisabeth gemacht, und den Proceß der Maria Stuart zu studiren angefangen. Ein paar tragische Hauptmotive haben sich mir gleich dargeboten und mir großen Glauben an diesen Stoff gegeben, der unstreitig sehr viele dankbare Seiten hat. Besonders scheint er sich zu der Euripidischen Methode, welche in der vollständigsten Darstellung des Zustandes besteht, zu qualificiren; denn ich sehe eine Möglichkeit, den ganzen Gerichtsgang zugleich mit allem Politischen auf die Seite zu bringen, und die Tragödie mit der Verurtheilung anzufangen. Doch davon mündlich und bis meine Ideen bestimmter geworden sind.

Hier haben wir den Frühling nicht eben weiter vorgerückt als in Weimar, bloß die Stachelbeerhecken zeigten sich grün, die uns im Mühlthal empfingen.

Wollten Sie die Güte haben und gegen beiliegende Scheine die notirten Werke aus der Bibliothek für mich holen und durch das Botenmädchen senden lassen. Camden habe ich schon mitgenommen, aber den Schein vergessen zurückzulassen. Wenn Sie mir, etwa aus der Sammlung des Herzogs, den Genzischen Historischen Kalender, der das Leben der Maria Stuart enthält, verschaffen könnten, so wäre mir’s sehr angenehm.

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese Mühe verursache.

Nochmals meinen herzlichen Dank für alles Angenehme, was ich bei Ihnen und durch Sie in Weimar genossen habe. Versäumen Sie ja nicht am ersten Mai hier zu seyn, ich habe es auch schon Cotta geschrieben.

Meine Frau grüßt Sie auf’s freundlichste. Leben Sie recht wohl. An Meyern viele Grüße.

Sch.

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