Vorwort

zur zweiten, nach den Originalbriefen vermehrten Ausgabe von 1856

Goethe schreibt an Zelter am 30. October 1824: „Ich redigire meine Correspondenz mit Schiller von 1794 bis 1805. Es wird eine große Gabe seyn, die den Deutschen, ja ich darf wohl sagen, den Menschen geboten wird.“

Ja, Goethe hat seinem Volk und seiner Zeit ein wichtiges Geschenk gemacht, als er wenige Jahre vor seinem Tode, 1829, seinen zehnjährigen Briefwechsel mit Schiller veröffentlichte. – Sein Verhältniß zu Schiller ist ein ganz einziges, und keines der Völker, an deren Leben die neuere Cultur hängt, hat ein ähnliches literarisches Denkmal aufzuweisen, das an Großartigkeit und umfassender Bedeutung dem Briefwechsel der zwei großen Männer gleich käme, die im entscheidenden Zeitpunkte eines allgemeinen wissenschaftlichen und politischen Aufschwungs, durch liebevolle Vereinigung so merkwürdig verschiedener und so herrlich gleicher Kräfte, dem deutschen Geist ganz neue Bahnen gewiesen.

Für die Kenntniß und Würdigung unserer beiden größten schöpferischen Geister nach allen Richtungen ihres innern und äußern Lebens, für die Geschichte unserer Literatur in ihrer wichtigsten Epoche, als wunderbar reiche Quelle der mannigfaltigsten Bildung ist dieser Briefwechsel gleich wichtig, und er ist auch in zahllosen biographischen, kritischen und historischen Schriften mit mehr oder weniger Geschick und Glück benützt worden.

Die erste Ausgabe war indessen in mehreren Beziehungen eine unvollständige, und wenn durch die zahlreichen Auslassungen die allgemeine Bedeutung des Briefwechsels nicht wesentlich litt, so wurde der Werth desselben für die Literaturgeschichte dadurch desto mehr beeinträchtigt. – Goethe, als er im Jahre 1829 die Briefe veröffentlichte, unterdrückte Alles, was damals verletzen oder auch nur unangenehm berühren konnte. Er ließ eine nicht unbedeutende Zahl von Briefen und Briefstellen weg, und griff daneben, um nicht zu viele und starke Schnitte machen zu müssen, zum Mittel, sehr viele der aufgeführten Personen mit Initialen, und zwar mit falschen, zu bezeichnen, und so die meisten wenigstens dem großen Publikum unkenntnlich zu machen. Indessen sind in den Originalbriefen selbst hin und wieder Personen nur mit Anfangsbuchstaben bezeichnet. Bei manchen Briefen und Sätzen, welche weggeblieben, sind die Beweggründe klar genug, bei anderen desto weniger, und es scheint, als ob damals Manches nur aus Versehen nicht aufgenommen worden wäre. Endlich ist in der ersten Ausgabe die natürlich Reihenfolge der Briefe nicht selten gestört; verschiedene Briefe sind sichtbar falsch datirt und nicht datirte sind an unrichtigen Stellen eingeschoben.

Es war keineswegs Goethe’s Meinung, daß das, was er in der ersten Ausgabe ausschied, verloren seyn sollte. Nach seiner Sitte versiegelte er nach dem Abbdruck sämtliche Papiere und verordnete, daß vor dem Jahr 1850 das Siegel nicht gelöst und der Briefwechsel nicht wieder aufgelegt werden dürfe.

Es ist jetzt erst möglich geworden, eine zweite vervollständigte Ausgabe herzustellen. Sie erscheint hiemit und enthält Alles, was Goethe in der ersten dem Publikum noch vorenthalten zu müssen glaubte. Dabei ist die Reihenfolge der Briefe, so weit es irgend möglich war, berichtigt und ein Register beigefügt, das jetzt gute Dienste leisten mag, während ein solches bei der ersten Ausgabe, in der so viele Namen verwischt sind, seltsam unvollständig gewesen wäre.

H. Hauff.