995. Goethe an Schiller

[Weimar,] Den 21. December 1804

Mit einer Anfrage, wie Sie sich befinden, will ich über unsere Angelegenheit nur einiges sagen, damit Sie vorläufig erfahren, wie es steht. Die Hälfte der Übersetzung glaube ich in der Mitte Januars, die andere Hälfte zu Ende abliefern zu können. Mit dem was dabei zu sagen wäre, sieht es schon etwas weitschichtiger aus. Anfangs geht man in’s Wasser und glaubt, man wolle wohl durchwaten, bis es immer tiefer wird und man sich zum Schwimmen genöthigt sieht. Die Bombe dieses Gesprächs platzt gerade in der Mitte der französischen Literatur und man muß sich recht zusammen nehmen, um nur zu zeigen, wie und was sie trifft. Überdieß lebt Pallissot noch im vier und siebenzigsten Jahre, wenn er nicht vergangenes Jahr gestorben ist; um so mehr muß man sich hüten keine Blöße zu geben.

Auch ist manche kritische Bestimmung innerhalb des Dialogs schwerer als ich anfangs dachte. Das Stück, die Philosophen, erscheint darin als ein erst kurz gegebenes, und es war den 20sten Mai 1760 zum erstenmal in Paris gespielt. Der alte Rameau lebte noch. Dieß setzte die Epoche also wenigstens vor 1764, wo er starb. Nun wird aber der trois siècles de la Littérature française gedacht, die erst 1772 herausgekommen sind. Man müßte also annehmen, daß der Dialog früher geschrieben und nachher wieder aufgefrischt worden sey, wodurch solche Anachronismen wohl entstehen können. Bis man aber in solchen Dingen etwas ausspricht, muß man sich überall umsehen. Wann also diese Zugabe fertig werden könnte, ist schwer zu berechnen, da ich auch vor Ostern die Schilderung Winckelmanns liefern muß, die doch auch nicht aus dem Stegreif gemacht werden kann. Welches alles ich zu gefälliger Betrachtung einstweilen habe melden sollen. Übrigens befinde ich mich ganz leidlich und nicht ganz unthätig. Der ich in Erwartung eines Bessern ein Gleiches wünsche.

G.

H 975 | S 984 | B 988