430. An Goethe
[Jena, 6. Februar 1798]
Es ist mir lieb, auch von Ihnen hören, daß mein Urtheil über die Idylle und ihren Urheber mich nicht ganz getäuscht hat. Daß es eine weibliche Natur ist, ist wohl kein Zweifel, und dieser ganz naturalistische und dilettantische Ursprung erklärt und entschuldigt das ungehörige in der Behandlung.
Sie scheinen mir auf das Product meiner Schwägerin einen größern Einfluß einzuräumen, als ich mir gerechter Weise anmaßen kann. Plan und Ausführung sind völlig frei und ohne mein Zuthun entstanden. Bei derm ersten Theil habe ich gar nichts zu sprechen gehabt, und er war fertig, eh ich nur seine Existenz wußte. Bloß dieses dankt er mir, daß ich ihn von den auffallenden Mängeln einer gewissen Manier in der Darstellung befreite, aber auch bloß solcher die sich durch Wegstreichen nehmen ließen; daß ich durch Zusammenziehung des Bedeutenden ihm eine gewisse Kraftlosigkeit genommen und einige weitläuftige und leere Episoden ganz herausgeworfen. Bei dem zweiten Theil war an nichts zu denken als an das Fertigwerden und bei diesem habe ich nicht einmal mehr auf die Sprach Einfluß gehabt. Wie also der zweite Theil geschrieben ist, so kann meine Schwägerin völlig ohne fremde Beihülfe schreiben. Es ist wirklich nicht wenig, bei so wenig solider und zweckmäßiger Cultur, und bloß vermittelst eines fast leidenden Auf-sich-wirken-lassens und einer mehr hinträumenden als hellbesonnenen Existenz, doch so weit zu gelangen als sie wirklich gelangt ist.
In dem Verzeichniß Ihrer Arbeitspensen für dieses Jahr finde ich Ihre neue Epopöe nicht, da ich doch glaubte Sie würden schon im Spätjahr ernstlich daran gehen können; doch das können Sie ja selbst noch nicht wissen, wie die Göttin Sie führt.
Ihr längeres Ausbleiben vermehrt allerdings meinen Wallensteinischen Vorrath, und da ich diejenige Scene, welche am meisten von der äußern heitern Influenz abhängt, habe liegen lassen und zum ersten Ausflug in meinen Garten verschoben, so könnte ich in etlichen Wochen den dritten Act geendigt haben. Der vierte und fünfte sind zusammen nicht größer als der erste, und machen sich beinahe von selbst.
Leben Sie recht wohl. Ich habe Besuch im Hause, von meiner Schwägerin, die Sie so wie auch meine Frau schönstens grüßt.
Sch.
[Beilage; nicht bei H.]
Citoyen Humboldt rue de Verneuil Faubourg St. Germain vis à vis la rue Str. Marie Nro. 824.