624. An Goethe
Jena, den 25. Juni 1799
Ich fürchte daß Sie es diesen paar Zeilen ansehen werden, wie penibel es mir jetzt geht.
Mein Schwager ist hier mit meiner Schwester; er ist ein fleißiger, nicht ganz ungeschickter Philister, 60 Jahre alt, aus einem kleinstädtischen Ort, durch Verhältnisse gedrückt und beschränkt, durch hypochondrische Krankheit noch mehr darniedergebeugt, sonst in neuen Sprachen und in der deutschen Sprachforschung, auch in gewissen Literaturfächern nicht unbewandert. Sie können denken wie wenig Conversationspunkte es da zwischen uns gibt, und wie übel mir bei dem wenigen zu Muthe seyn mag; das Schlimmste ist, daß ich in ihm eine nicht ganz kleine und nicht einmal verächtliche Klasse von Lesern und Urtheilern repräsentirt finde, denn er mag in Meiningen, wo er Bibliothekar ist, noch vorzüglich seyn. Diese ganz imperfectible enge Vorstellungsweise könnte einen zur Verzweiflung bringen, wenn man etwas erwartete.
Übrigens raubt mir dieser Besuch, der bis den Sonntag dauert, einen großen Theil meiner Zeit und alle gute Stimmung für den Überrest; ich muß diese Woche rein ausstreichen aus dem Leben.
Was der Sammler für eine Wirkung machen wird, bin ich in der That neugierig. Da man einmal nicht viel hoffen kann zu bauen und zu pflanzen, so ist es doch etwas, wenn man auch nur überschwemmen und niederreißen kann. Das einzige Verhältniß gegen das Publicum, das einen nicht reuen kann, ist der Krieg, und ich bin sehr dafür, daß auch der Dilettantism mit allen Waffen angegriffen wird. Eine ästhetische Einkleidung, wie etwa der Sammler, würde diesem Aufsatz freilich bei einem geistreichen Publicum den größten Eingang verschaffen, aber den Deutschen muß man die Wahrheit so derb sagen als möglich, daher ich glaube, daß man wenigstens den Ernst, auch in der äußern Einkleidung, vorherrschen lassen muß. Es fänden sich vielleicht unter Swift’s Satyren Formen, die hiezu passen, oder müßte man in Herder’s Fußstapfen treten und den Geist des Pantagruel citiren.
Wahrscheinlich bringe ich meine Gäste auf den Sonntag selbst auf die nächste Station nach Weimar, und bleibe dann wohl die zwei folgenden Tage dort, wo ich Sie, trotz des Getümmels, doch einige Stunden zu sehen hoffe. Auch ich freue mich herzlich auf unser hiesiges Zusammensein.
Die Frau grüßt Sie bestens. Leben Sie bis dahin wohl.
Sch.