406. An Schiller
Weimar, den 27. Dezember 1797
So leid es mir thut, zu hören, daß Sie noch nicht ganz zur Thätigkeit hergestellt sind, ist es mir doch angenehm, daß mein Brief und Aufsatz Sie einigermaßen beschäftigt hat. Ich danke für den Ihrigen, der eine Sache noch weiter führt, an der uns so viel gelegen seyn muß. Leider werden wir Neuern wohl auch gelegentlich als Dichter geboren und wir plagen uns in der ganzen Gattung herum, ohne recht zu wissen woran wir eigentlich sind; denn die specifischen Bestimmungen sollten, wenn ich nicht irre, eigentlich von außen kommen und die Gelegenheit das Talent determiniren. Warum machen wir so selten ein Epigramm im griechischen Sinn? Weil wir so wenig Dinge sehen die ein’s verdienen. Warum gelingt uns das Epische so selten? Weil wir keine Zuhörer haben. Und warum ist das Streben nach theatralischen Arbeiten so groß? Weil bei uns das Drama die einzig sinnliche reizende Dichtart ist, von deren Ausübung man einen gewissen gegenwärtigen Genuß hoffen kann.
Ich habe diese Tage fortgefahren die Ilias zu studiren, um zu überlegen, ob zwischen ihr und der Odyssee nicht noch eine Epopöe inne liege. Ich finde aber nur eigentlich tragische Stoffe, es sey nun daß es wirklich so ist, oder daß ich nur den epischen nicht finden kann. Das Lebensende des Achill mit seinen Umgebungen ließe eine epische Behandlung zu und forderte sie gewissermaßen, wegen der Breite des zu bearbeitenden Stoffs. Nun würde die Frage entstehen, ob man wohl thue einen tragischen Stoff ebenfalls episch zu behandeln? Es läßt sich allerlei dafür und dagegen sagen. Was den Effect betrifft, so würde ein Neuer, der für Neue arbeitet, immer dabei im Vortheil seyn, weil man ohne pathologisches Interesse wohl schwerlich sich den Beifall der Zeit erwerben wird.
So viel für dießmal. Meyer arbeitet fleißig an seiner Abhandlung über die zur bildenden Kunst geeigneten Gegenstände; es kommt dabei alles zur Sprache was auch uns interessirt, und es zeigt sich, wie nah der bildende Künstler mit dem Dramatiker verwandt ist. Möchten Sie sich doch recht bald erholen und ich zur Freiheit gelangen Sie nächstens besuchen zu können.
G.