558. An Goethe

Jena, den 7. Dezember 1798

Wir leben jetzt wieder in sehr entgegengesetzten Zuständen, Sie unter lauter Zerstreuungen, die Ihnen keine Sammlung des Gemüths erlauben, und ich in einer Abgeschiedenheit und Einförmigkeit, die mich nach Zerstreuung seufzen macht, um den Geist wieder zu erfrischen. Ich habe übrigens diese traurigen Tage, die sich erst heute wieder aufhellten, nicht ganz unnütz verbracht, und einige bedeutende Lücken in meiner Handlung ausgefüllt, wodurch sie sich immer mehr rundet und stetiger wird. Es sind verschiedene ganz neue Scenen entstanden, die dem Ganzen sehr gut thun. Auch jenen nicht ganz aufzuhebenden Bruch, von dem Sie schreiben, in Betreff des Tollen und Vernünftigen, seh’ ich dadurch etwas vermindert, indem alles darauf ankommt, daß jene seltsame Verbindung heterogener Elemente als beharrender Charakter erscheine, aus dem Total des Menschen hervorkomme und sich überall offenbare. Denn wenn es gelingt sie nur recht individuell zu machen, so wird sie wahr, da das Individuelle zur Phantasie spricht, und man es also nicht mit dem trockenen Verstand zu thun hat.

Wenn Sie glauben, daß wir das astrologische Zimmer nicht einbüßen sollten, so ließe sich immer noch Gebrauch davon machen, auch im Fall, daß wir die andere Fratze behielten. Das Mehr schadet hier nichts, und eins hilft dem andern. Mir ist eigentlich nur darum zu thun, daß ich von Ihnen wisse, ob das neulich Überschickte überall nur statthaft ist, denn es ist gar nicht nöthig, daß etwas anderes dadurch ausgeschlossen wird.

Ich weiß Ihnen heute nichts zu sagen, was Sie interessiren könnte, denn ich bin nicht aus meiner Arbeit gekommen, und habe auch von außen nichts in Erfahrung gebracht.

Wollten Sie mir nicht das Buch über den Caucasus verschaffen, von dem Sie mir öfters sagten? Ich habe jetzt gerade ein Bedürfniß nach einer ergötzlichen Lectüre.

Leben Sie recht wohl, an Meyern viele Grüße. Meine Frau empfiehlt sich.

Sch.

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