371. An Goethe

[Jena,] Den 15. September 1797

Es wäre vortrefflich, wenn Sie mit Meyern Ihre Gedanken über die Wahl der Stoffe, für poetische und bildende Darstellung, entwickelten. Diese Materie communicirt mit dem Innersten der Kunst, und würde zugleich durch ihre unmittelbare und leichte Anwendung auf wirkliche Kunstwerke sehr pragmatisch und ansprechend seyn. Ich für mein Theil werde darüber auch meine Begriffe deutlich zu machen suchen.

Vor der Hand scheint mir, daß man mit großem Vortheil von dem Begriff der absoluten Bestimmtheit des Gegenstandes ausgehen könnte. Es würde sich nämlich zeigen, daß alle, durch eine ungeschickte Wahl des Gegenstandes, verunglückten Kunstwerke an einer solchen Unbestimmtheit und daraus folgender Willkürlichkeit leiden.

So scheint mir der Begriff dessen, was man einen prägnanten Moment nennt, sich vollkommen durch seine Qualification zu einer durchgängig bestimmten Darstellung zu erklären. Ich weiß in der poetischen Gattung keinen treffenden Fall als Ihren Hermann. Hier würde sich vielleicht durch eine Art Induction zeigen lassen, daß bei jeder andern Wahl der Handlung etwas hätte unbestimmt bleiben müssen.

Verbindet man mit diesem Satz nun den andern, daß die Bestimmung des Gegenstandes jedesmal durch die Mittel geschehen muß, welche einer Kunstgattung eigen sind, daß sie innerhalb der besondern Gränzen einer jeden Kunstspecies absolvirt werden muß, so hätte man, däucht mir, ein hinlängliches Criterium, um in der Wahl der Gegenstände nicht irre geleitet zu werden.

Aber freilich, wenn dieß auch seine Richtigkeit hätte, ist die Anwendung des Satzes schwer und möchte überall mehr Sache des Gefühls und des Ahnungsvermögens bleiben, als des deutlichen Bewußtseyns.

Ich bin sehr neugierig auf das neue poetische Genre, woraus Sie mir bald etwas senden wollen. Der reiche Wechsel Ihrer Phantasie erstaunt und entzückt mich, und wenn ich Ihnen auch nicht folgen kann, so ist es schon ein Genuß und Gewinn für mich Ihnen nachzusehen. Von diesem neuen Genre erwarte ich mir etwas sehr Anmuthiges, und begreife schon im voraus, wie geschickt es dazu seyn muß, ein poetisches Leben und einen geistreichen Schwung in die gemeinsten Gegenstände zu bringen.

Von unserm Freund Humboldt habe ich heute Briefe bekommen. Es gefällt ihm in Wien gar nicht mehr, die Italiänische Reise hat er auch so gut als aufgegeben, ist aber beinahe entschlossen nach Paris zu gehen, welches er aber wahrscheinlich, nach den neuesten Ereignissen dort, nicht zur Ausführung bringen wird. Er wird Ihnen, wie er schreibt, in diesen Tagen von sich Nachricht geben.

Ich habe immer noch viel von meinem Husten zu leiden, bin aber viel freier von meinem alten Übel, wobei indeß meine Stimmung und meine Thätigkeit nicht viel gewinnt: denn das neue Übel greift mir den Kopf weit mehr an als malum domesticum, die Krämpfe, zu thun pflegen. Indeß hoffe ich, in acht oder zehn Tagen, der Schererei des Almanachs los zu seyn und wieder ernstlich an den Wallenstein gehen zu können. Das Lied von der Glocke habe ich bei meinem Übelbefinden nicht vornehmen können noch mögen. Indessen fanden sich doch noch allerlei Kleinigkeiten für den Almanach, die eine Mannigfaligkeit in meine Beiträge bringen und meinen Antheil an demselben ziemlich beträchtlich machen.

Mit meinen Kranichen ist Böttiger sehr zufrieden gewesen, und Zeit und Local, worüber ich ihn consultirte, hat er sehr befriedigend dargestellt gefunden. Er gestand bei dieser Gelegenheit, daß er nie recht begriffen habe, wie sich aus dem Ibycus etwas machen ließe. Dieses Geständniß hat mich sehr belustigt, da es seinen Mann so schön charakterisirt.

Sie werden von Cotta den I und K Bogen des Almanachs erhalten haben; vielleicht kann ich heute noch einen schicken. Der Almanach wird stärker als der vom vorigen Jahr, ohne daß ich in der Auswahl hätte laxer seyn müssen.

In meinem Hause geht es gut, und wir haben Carls Geburtstag gestern mit vieler Freude gefeiert. Heute hatten wir Vent aus Weimar bei uns, der mir sehr wohl gefällt; sonst hat sich meine Gesellschaft um keine neue Figur vermehrt. Meine Frau denkt Ihrer mit herzlichem Antheil, auch mein Schwager und Schwägerin empfehlen sich Ihnen auf’s beste.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Meyern und denken Sie meiner in Ihrem Kreise. Ihre Briefe sind für uns reichbeladne Schiffe, und machen jetzt eine meiner besten Freuden aus. Leben sie wohl.

Schiller.

Sehen Sie doch das Blatt an, worein ich packe.

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